Blindgänger: harmlose Belästigungen oder schmerzhafte Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg?

Von Miles Dabbs

Kurz vor Mitternacht in einer verschneiten Nacht am Ende Januar erschüttert in Lingen an der Ems der Boden. Eine britische Fünf-Zentner-Bombe ist im Bereich des Alten Hafens in der Nähe des Dortmund-Ems-Kanal explodiert und hat einen riesigen Krater hinterlassen. 8.800 der 53.000 Einwohner der niedersächsischen Kleinstadt, darunter die Bewohner von drei Pflegeheimen und der historischen Altstadt, wurden früher evakuiert und sitzen in Evakuierungszentren. Die Sprengung führte zu einer Druckwelle und herumfliegenden Splitterteilen und zertrümmerte alle Fenster in der Nähe der Explosionsstelle.

Obwohl das zwar nach einer Beschreibung eines Luftangriffs im Jahr 1944 klingt, fanden die oben beschriebenen Ereignisse aber am 31. Januar 2019 statt. Lingen, wo ich während meines Auslandsjahres als Fremdsprachenassistent arbeitete, kam in die nationalen Schlagzeilen als eine Fliegerbombe bei Bauarbeiten in einem Wohngebiet gefunden wurde. Ein Abtransport oder eine Entschärfung der Bombe war unmöglich, und die Bombe musste daher kontrolliert gesprengt werden. Dieses erderschütternde Ereignis, das viele meiner Freunde und Kollegen betraf und mein Bett schüttelte, brachte mich dazu, über die Auswirkungen von Blindgängern in Deutschland nachzudenken. Sind sie nur gelegentliche Belästigungen oder stellen sie (eigentlich) eine Gefahr für Menschen und Eigentum dar? Wecken sie vielleicht auch Erinnerungen die die meisten Menschen lieber vergessen würden?

Während des zweiten Weltkrieges wurden 1,5 Millionen Tonnen Sprengstoff von britischen und amerikanischen Streitkräften auf Deutschland abgeworfen. Laut Experten könnten bis zu 20 Prozent der abgeworfenen Bomben nicht detoniert sein.

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Während des Krieges gab es nur zwei Bombenangriffe auf Lingen: im Februar und November 1944. Bombenblindgänger werden daher nicht regelmäßig unter der Kleinstadt gefunden. In größeren Industriestädten aber, die für das Dritte Reich von strategischer Bedeutung waren, werden fast täglich Weltkriegsbomben gefunden und in diesen Städten hat die Häufigkeit der Entdeckungen gravierende Auswirkungen auf das Alltagsleben. Zum Beispiel in Oranienburg, einer Brandenburger Industriestadt mit nur 42 000 Einwohnern, wurden zwischen 1994 und 2018 200 Weltkriegsbomben gefunden. Bombenblindgänger sind in Oranienburg so häufig, dass die Busse langsamer fahren müssen, um Explosionen unter den Straßen zu vermeiden.

Im Gegensatz dazu befasst sich das britische Verteidigungsministerium mit nur 60 deutschen Fliegerbomben pro Jahr. Die Häufigkeit der Bombenentdeckungen in Deutschland hat daher einen besonderen Einfluss auf das Leben, welches in ganz Europa einzigartig ist. Jedes Mal, wenn eine Bombe gefunden wird, müssen Tausende ihre Häuser verlassen. Es scheint daher deutlich zu sein, dass dieses siebzig Jahre alte Problem immer noch erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Leben und die deutsche Gesellschaft hat, und bleibt viel mehr als ein harmloses Ärgernis. 

Kulturell bedeutsamer und befürchteter sind natürlich die Bomben, die ihren tödlichsten Kriegszweck erfüllen. Seit 1990 haben Weltkriegsbomben in Deutschland acht Menschen getötet und viele andere schwer verletzt. Der jüngste Vorfall ereignete sich 2010 in Göttingen, als drei Mitglieder der Katastrophenstab gestorben sind, wegen einer unerwarteten Explosion während der Vorbereitung einer Bombenentschärfung. Jedes Jahr detonieren durchschnittlich zwei Bomben ohne Vorwarnung, und das Risiko steigt von Jahr zu Jahr. Bombenblindgänger bergen deshalb ein zunehmendes Risiko auf das Leben von Zivilisten und auf die Zerstörung der deutschen Infrastruktur. Das Risiko ist für viele Leute leicht zu vergessen, aber manchmal bringt ein tragisches Ereignis oder ein Zeitungsbericht eine Atmosphäre der Angst in die nationale Psyche zurück. 

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Es ist daher klar, dass diese Bombenblindgänger viel mehr als nur ein Ärgernis sind. Sie stellen immer noch ein erhebliches Risiko für das Leben dar, rufen in der Öffentlichkeit Angst hervor und führen in extremen Fällen zu noch mehr zivilen Opfern in einem Krieg, der von den Großeltern des Opfers geführt wird. Blindgänger sind ein Teil eines umfassenderen Erbes des Zweiten Weltkrieges, die die Kultur und die Gesellschaft in der heutigen Bundesrepublik immer noch durchdringt.

Korrekturleserin: Miriam Van Meter, Goethe-Universität Frankfurt

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